Flug MH17 und der Konflikt in der Ostukraine

Die Regierungschefs Europas haben sich einmal mehr zusammengefunden um verschärfte Sanktionen gegen Rußland zu beschließen. Dabei gehen sie wie selbstverständlich davon aus, daß die niederländische Passagiermaschine von Flug MH17 von den Separatisten in der Ostukraine abgeschossen worden ist. Das obwohl zumindest dann, wenn man den russichen Angaben irgendeine Bedeutug zumißt, es jeden Grund gibt etwas ganz anderes zu vermuten.

Russichen Angaben zufolge hat sich nämlich zur selben Zeit ein ukrainisches Kampfflugzeug der Passagiermaschine genähert. Kiev müsse Moskau auch die Stationierung des Flugabwehrsystems „Buk” im Separatistengebiet erklären, da die Separatisten in der Ostukraine gar nicht über Flugzeuge verfügen .

Kann es wirklich sein, daß Flug MH17 von einem ukrainischen Kampflugzeug verfolgt und von diesem abgeschossen worden ist? Ja. Es wäre nicht das erste Mal, daß die ukrainische Seite Öl ins Feuer gießt und den Konflikt anheizt. So etwa u.a. die Abschaffung von Russisch als Amtssprache [1] kurz vor der Annexion der Halbinsel Krim. Das eine läßt sich freilich nicht mit dem anderen vergleichen. Dennoch, es scheint genug Menschen zu geben, die immer noch nach Rache für die Toten vom Maidan dürsten. Nun, wenn es wirklich so gewesen wäre, wer trägt dann die Verantwortung?

Wer die Medien aufmerksam gelesen hat, der wird auch wissen, daß in der Ostukraine Blackwater Söldner aus den USA gekämpft haben [2]. Sollte man nicht alleine aufgrund dieser Tatsache eine Neubewertung der Verantwortung Rußlands in diesem Konflikt anstreben, dessen Unterstützung für die Separatisten gerade jetzt mit immer härter werdenden Sanktionen bekämpft wird? Handelt es sich hier nicht schon lange um einen neue Art von Stellvertreterkrieg? - einen sehr assymetrischen und ungleich gefährlicheren, der jederzeit in einem echten Krieg eskalieren kann. Möglicherweise hat auch das Rücktrittsgesuch der Regierung in Kiev aufgrund dem auseinanderbrechen der Koalition prowestlicher Parteien erst unlängst, das von Präsident Petro Poroschenko umgehend zurückgewiesen worden ist, etwas mit diesen Umständen zu tun.

Ein weiteres Problem ist auch, daß die ukrainische Übergangsregierung es zu gegebener Stunde nicht nur verabsäumt sondern sogar strikt abgelehnt hat direkt mit den Separatisten zu verhandeln und ein für beide Seiten akzeptables Angebot auf den Tisch zu legen. Selbst unter der gewählten Nachfolgeregierung von Präsident Petro Poroschenko ist ein solches Angebot nicht zustande gekommen. Es hätte doch möglich sein müssen in den betroffenen Gebieten und nur dort über mehr Autonomie abzustimmen. Den ganzen Rest der Ukraine über die Zukunft eines „abtrünnigen” Landesteils abstimmen zu lassen, war sicher kein faires Angebot.

Während man den Separatisten, die Tötung einzelner Gegner vorwirft (Massengräber wurden definitiv nicht gefunden) ist im russichen Fernsehen von Kriegsverbrechen die Rede. Generalmajor Viktor Posnichir listet im Staatsfernsehen mehrere Tatorte und Tage für den Einsatz von Phosphorbomben auf, die bereits aus dem Vietnamkrieg bekannt sein sollten [3]. Er stützt sich dabei auf Augenzeugenberichte von Flüchtlingen und Videoaufnahmen.

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Nun aber zurück zu Flug MH17. Die Blackbox befindet sich nunmehr im Besitz Großbritanniens, nachdem sie von den Niederlanden zur Auswertung dorthin ausgeliefert worden ist. Zuvor hatten die Separtisten die Blackbox an Malaysia ausgehändigt, das dem öffentlichen Druck nach Aufklärung selbst wohl nicht mehr standgehalten hat. Laut Experten wurde die Blackbox intakt und (obgleich des Absturzes) nur geringfügig beschädigt übergeben.

Doch was ist seither damit passiert? Die betroffenen Menschen warten geduldig auf eine Antwort. Die breite Öffentlichkeit hingegen scheint sich nicht mehr darum zu kümmern und einfach ungefragt die in vielen Medien propagierten Antworten zu übernehmen: Schuld sein können nur die pro-russischen Separtisten.

Die Menschen müssen endlich aufstehen und nach Antworten verlangen! Wenn die Maschine vor dem Abschuß tatsächlich von einem ukrainischen Militärflugzeug verfolgt worden sein sollte, dann müßte die Blackbox darüber Auskunft geben können. Andernfalls ist es wahrscheinlich, daß es sich um einen tragischen Zwischenfall handelt; daß also die Separatisten auf das in der Nähe befindliche ukrainische Militärflugzeug geschossen und ihr Ziel verfehlt haben; einen politischen Selbstmord der pro-russichen Separatisten ist fast ebenso unwahrscheinlich wie ein Treffer von der Gegenseite. Wenn zweifelsfrei bekannt wird, daß das Flugzeug von den ukrainischen Separatisten abgeschossen worden ist wäre wohl auch Moskau dazu gezwungen seine Unterstützung für die Separatisten in der Ukraine einzustellen oder wenigstens zu überdenken.

Vorauseilende Sanktionen gegen Rußland bevor die Sache überhaupt aufgeklärt ist scheinen hingegen von Moskau als weitere Provokation des Westens aufgenommen worden zu sein. Moskau weiß was es weiß und hat bereits stufenweise Militärübungen in allen Bezirken angekündigt und Reservisten einberufen. Einer Entspannung der Lage ist dies freilich nicht dienlich. Rußland wäre auch ohne ein so tragisches Ereignis durchaus dazu bereit gewesen Druck auf die Separatisten auszuüben; ein entsprechendes Angebot von ukrainischer Seite vorausgesetzt, das aber seinerseits nur durch entsprechenden Druck aus Europa hätte zustande kommen können. Auch den meisten Angehörigen von Flug MH17 kann es wohl kaum recht sein, wenn sie dazu mißbraucht werden eine politische Eiszeit oder gar einen weiteren Kriegsgrund zu liefern.

Auch dann wenn die Wahrheit nie ans Licht kommen wird und die Separatisten letztlich zum Aufgeben gezwungen sein werden, wenn also einmal vollendete Tatsachen geschaffen worden sind, wird Europa durch diese vorauseilende, unbedachte und für die Gegenseite provokative Politik auf der Strecke bleiben. Abgesehen vom gesamtwirtschaftlichen Schaden, wird auch eine neue energiepolitische Abhängigkeit von den USA ihren Preis haben. Unabhängig davon, daß die einzigen Gewinner dieses Konflikts jenseits des Atlantiks sitzen, hätten sich die Länder der EU, statt sich in einen militärischen Konflikt ziehen zu lassen, für dessen Weiterführung es beide Seiten braucht, zu gegebener Stunde lieber auf den Aufbau einer gemeinsamen demokratischen Wertebasis mit Rußland setzen sollen. Das mag zu dieser Stunde wie eine Utopie klingen. Dennoch, wer demokratische Legitimierung ernst nimmt, ja der muß auch zulassen können, daß die Bevölkerung einzelner Gebiete natürlich unter Einsatz unabhängiger Wahlbeobachter über ihre eigene Zukunft abstimmt. Die Frage muß erlaubt sein, aber würden wir auch eine schottische oder katalanische Unabhängigkeitsbewegung unter den (im letzten Satz) beschriebenen Umständen mit Waffengewalt niederschlagen?

Ich stelle nicht außer Streit, daß es angebracht ist auf den Umgang mit politischen Dissidenten in Rußland nicht nur hinzuweisen sondern davon auch politische Schritte wie Waffenexport abhängig zu machen. So etwa der jüngst verhängte Hausarrest gegen Alexej Nawalny, der sehr viele Korruptionsfälle rund um Putins Rußland aufgedeckt hat. Zwar gibt es in Rußland keine flächendeckende Überwachung von Internetnutzern, doch sind erst unlängst die Webseiten von Alexej Nawalny und Garri Kasparow vom Kreml gesperrt worden. Leider scheint aber auch bei der nachträglichen Verurteilung Rußlands für die Verstaatlichung und Zerschlagung des Energiekonzerns Yukos, der damals dem Opositionellen Michail Chodorkowsi gehört hatte, das Interesse bei den Aktionären von Menatep Limited (GML) und dem Kläger Leonid Nevzlin, der inzwischen eine israelische Staatsangehörigkeit hat, zu liegen. Zahlen muß die russiche Öffentlichkeit mit 50 Mrd Dollar. Während man bei Geschäftsinteressen und politischem Kalkül sofort reagiert, scheint der Schutz der Rechte u.a. russicher Bürger für unsere Politiker eben leider kein so vorrangiges Thema zu sein, was auch die Geschehnisse rund um Edward Snowden betrifft. Hingewiesen sei auch darauf, daß wenn in irgend einem anderem Staat im Einflußbereich des Westens unschuldige Bürger aufgrund von Konzerninteressen vertrieben oder umgebracht werden, daß man auch hier zumindest in den Massenmedien nur sehr selten davon erfährt.

31.07.2014 -